Die besten „mici“ (Fleischröllchen) und „sarmale“ (Krautwickel) in Deutschland bekommt man bei den Festen der aus Rumänien ausgewanderten Deutschen aufgetischt, erzählt Emil Hurezeanu, rumänischer Botschafter in Berlin. „ Ich denke, wir, die Rumänen, fehlen vielen von ihnen, so wie auch sie uns fehlen, vor allem denen, die zusammen mit ihnen gelebt haben.“ Kurz vor dem ersten weltweiten Treffen der Siebenbürger Sachsen in Hermannstadt/Sibiu (4.-6. August) hat Hotnews.ro mit Botschafter Hurezeanu ein ausführliches Interview geführt, aus dem wir folgendes Fragment in deutscher Übersetzung vorstellen.

Emil HurezeanuFoto: Arhiva personala

Dan Tapalaga: In diesem Jahr (4.-6. August) findet in Hermannstadt/Sibiu das weltweite Treffen der Siebenbürger Sachsen unter dem Motto „In der Welt zuhause, in Siebenbürgen daheim“ statt. Über 10.000 Gäste werden erwartet. Wie viele Sachsen sind mit dem Herzen in Siebenbürgen geblieben, nach der großen Auswanderungswelle vor 27 Jahren?

Emil Hurezeanu:Wir haben es in der Tat mit einem ungewöhnlichen Vorgang in Siebenbürgen zu tun. Die Sachsen sind vor gut 850 Jahren hierher gezogen und haben langsam, aber stetig eine deutsche und europäische Zivilisation an den Toren zum Orient errichtet. Sie gründeten Hermannstadt (Sibiu), Kronstadt (Brasov), Klausenburg (Cluj) oder Mediasch (Medias). Vereint in der „Sächsischen Nationsuniversität“ (Universitas Saxonum) verteidigten sie die östlichen und südlichen Grenzen Siebenbürgens gegen die Einfälle der Mongolen, Tataren und Türken. Sie bauten Kirchenburgen und Dörfer wie jene in der Normandie, Burgund, Kärnten, im Moselland oder Westfalen. Sie waren freie Menschen, sowohl auf dem Land als auch in den Städten. Vor rund 500 Jahren, fast zeitgleich mit der Reform Luthers in Deutschland, traten sie geschlossen, aber ohne Kriege, vom Katholizismus zur evangelischen Konfession über.

Sie errichteten das erste unentgeltliche und obligatorische Grundschulwesen in Europa. Sie bestimmten ihre Bürgermeister und Bischöfe in demokratischen Wahlen. Und sie ließen die Menschen in ihrer Umgebung in Ruhe. Ihre Gleichgültigkeit war jedoch tolerant und konstruktiv. Die Rumänen haben viel von ihnen gelernt. Die Sachsen achteten ihre Nachbarn und machten sie nicht zu Vasallen. Sie gründeten eine deutsche Nation im Südosten Europas, waren Bauern, Kaufleute, Baumeister, Handwerker, Pfarrer und Bischöfe, Grafen und Historiker ersten Ranges.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden sie Staatsbürger Rumäniens. Ihre Loyalität stellten sie zur Zeit des Kampfes für die Große Vereinigung (Rumäniens – Anm. d. Red.) unter Beweis, als erste Minderheit, die sich dafür aussprach. Der Zweite Weltkrieg zog auch sie in den Strudel der normativen Schuldigen. Viele wurden in die Ukraine deportiert. Zu Tausenden gingen sie dort zu Grunde.

Der rumänische Kommunismus beraubte sie, wie auch die anderen, ihrer elementaren Rechte. Anders jedoch als in Polen, der Tschechoslowakei oder Ungarn wurden unsere Deutschen, die Sachsen in Siebenbürgen und Schwaben im Banat, jenseits der tragischen Klammer ihrer Deportation (1945-1950), nicht gejagt und aus dem Land vertrieben. Sie erfreuten sich in den Jahren des Kommunismus, vor allem nach 1960, relativer identitärer kultureller Rechte.

Infolge der Verträge zwischen Bukarest und Bonn verließen Zehntausende Deutsche Rumänien. Es war ein immenser Verlust sowohl für ihre eigene Gemeinschaft als auch für Rumänien, wenngleich es vielleicht auch eine Rettung für beide Seiten war.

Nach 1989 verließen in den ersten beiden Jahren (nach der Wende – Anm. d. Red.) praktisch alle Deutschen das Land. Heute gibt es noch einige Tausend Siebenbürger Sachsen in Hermannstadt und Siebenbürgen. 1938 lebten fast 800.000 Deutsche in Rumänien, Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben. Ungefähr genau so viele wie Juden hier lebten.

Durch den Verlust dieser Minderheiten, die einen so bedeutenden Beitrag zur Modernisierung Rumäniens geleistet haben, sind wir einsamer geworden und ärmer in Kunst und Handwerk.

Die Sachsen haben ihre Heimat aber in ihrem Herzen und ihrer mentalen Landkarte bewahrt. Die Deutschen haben allgemein eine vitale und nicht nur sentimentale Beziehung in erster Reihe zu ihrem „Zuhause“, zur Heimat, und erst danach zum Land, zum Staat. Diese Beziehung entspringt der historischen Tradition der staatlichen Fragmentierung, durch die sie sich Jahrhunderte lang enger an ihre Region, Grafschaft usw. gebunden fühlten als an das Kaiserreich. Ihre Erfahrung mit Reichen war katastrophal, die kleine Stadt mit Türmen war ihr Schutz.

Franz-Josef Strauss, der ehemalige charismatische bayrische Ministerpräsident, sagte einmal, dass Bayern die Heimat, Deutschland das Vaterland und Europa die Zukunft seien. Die Siebenbürger Sachsen treffen sich jetzt in Hermannstadt unter einem ähnlichen Motto, aber bescheidener formuliert: „In der Welt zuhause, in Siebenbürgen daheim“.

DT: Haben die Sachsen, die aus Rumänien nach Deutschland ausgewandert sind, ihre Identität bewahrt? Ihre Traditionen, Bräuche, ihren Lebensstil? Wohnen sie in kompakten Gemeinschaften oder leben sie verstreut in der deutschen Gesellschaft?

EH:In Deutschland, Österreich, Kanada oder den USA haben sich die Sachsen problemlos in ihre neue Welt integriert und ihre Traditionen bewahrt. Auf ganz natürliche Weise. Sie haben Verbände gegründet unter dem Banner ihres siebenbürgischen Heimatorts, sie feiern ihre Feste, Bälle und Karnevals. Alljährlich treffen sich zu Pfingsten rund 20.000 Siebenbürger Sachsen seit über einem halben Jahrhundert in Dinkelsbühl, im Norden Bayerns, viele tragen stolz ihre Volkstracht, man begegnet Verwandten, ehemaligen Nachbarn, Bekannten, Freunden. In den späten Abendstunden wird mit einem beeindruckenden Fackelzug zur Gedenkstätte auf dem Hügel der Stadt an die Toten sowie die Leiden der Gemeinschaft erinnert.

Ich selbst war mehrmals dort und habe mich gefreut, entlang der Jahre rumänische Freunde und Politiker zu überzeugen, bei diesem alljährlichen bewegenden Ritual dabei zu sein. Letztes Jahr war zum ersten Mal ein rumänischer Premierminister - Herr Dacian Ciolos - zugegen. In der Vergangenheit waren auch mehrere Außenminister dabei, Teodor Bakonski, Cristian Diaconescu oder Titus Corlatean.

Die rumänischen Gäste werden immer gerne und ehrenvoll empfangen. Aber Sie fragten mich, ob die Sachsen sich noch an ihre Herkunft erinnern. Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen. Die besten „mici“ (Fleischröllchen) und „sarmale“ (Krautwickel) in Deutschland bekommt man bei den Festen der aus Rumänien ausgewanderten Deutschen aufgetischt. Vor vielen Jahren erzählte mir eine gute und inzwischen leider verstorbene Freundin, die herausragende Schriftstellerin und Übersetzerin Elisabeth Axmann, eine nach Deutschland ausgewanderte Sächsin, folgende Geschichte. Zu Besuch bei einer schon betagten Verwandten in einem Seniorenheim im nördlichen Rheinland, die seit Jahrzehnten in Deutschland lebte, fragte Elisabeth: „Tante Frieda, was fehlt Dir eigentlich noch?“ „Mir fehlt der Rumäne!“, war die Antwort der alten Sächsin in einem, wie ich glaube, nicht-freudschen Anfall absoluter Ehrlichkeit. Ich denke, wir, die Rumänen, fehlen vielen von ihnen, so wie auch sie uns fehlen, vor allem denen, die zusammen mit ihnen gelebt haben.

Das ganze Interview mit dem rumänischen Botschafter in Berlin, Emil Hurezeanu, lesen sie hier

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Bildergalerie: Die Kirchenburgen in Siebenbürgen (Fotos: Martin Eichler)

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